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Motorradausbildung mit ABS

Die Verbreitung von ABS in Motorrädern, gerade auch in der Mittelklasse, hat das Motorradfahren und auch die Motorradausbildung in den Fahrschulen deutlich sicherer gemacht. Mit Sorge beobachte ich aber die Tendenz, in der Fahrausbildung das Lernziel „Gefahrbremsung ohne ABS“ aus den Augen zu verlieren.

Fakt ist:

  • Nur ca. 60 Prozent der neu zugelassenen Motorräder haben ABS.
  • Nur ca. 25 Prozent der im Straßenverkehr benutzten Motorräder (Bestand) haben ABS.
  • Daraus ergibt sich rein statistisch, dass etwa 75 Prozent der neuen Führerscheininhaber ein Motorrad ohne ABS fahren.

Für die Ausbildung der wahrscheinlich anschließend ohne ABS fahrenden Fahrerlaubniserwerber sind folgende Ausbildungsziele überlebenswichtig:

  1. schneller Bremsdruckaufbau in 0,2 sec, ohne (vor allem!) das Vorderrad zu blockieren,
  2. eine sinnvolle Bremskraftverteilung realisieren: Hinterrad blockiert oder regelt nicht,
  3. ein blockiertes Vorderrad durch Lösen der Bremse unter Kontrolle bekommen.

Diese Fähigkeiten brauchen viel Übung!Motorrad training

Natürlich finde ich die Verwendung eines ABS-Motorrads in der Fahrschule sinnvoll, ja notwendig. Alle diese Lernziele können mit aktivem ABS geschult werden und bedürfen nicht eines Motorrads ohne oder mit abschaltbarem ABS. Für die Ausbildung empfehle ich folgendes:

  • Lehren der Bremskraftverteilung bei Gefahrbremsungen: Bremsen üben mit dem Ziel, ABS regelt nicht, vor allem nicht am Hinterrad!
  • Üben eines flotten Bremsbeginns, ohne das das Vorderrad blockiert oder regelt.
  • Der oft zu hörende Tipp, es sei wegen der dynamischen Achslastverlagerung erforderlich, die Bremsung eher sanft als ganz rasch zu beginnen, muss infrage gestellt werden. Warum? Nun, der Bremsdruckaufbau und die dynamische Achslastverlagerung dauern nur 0,2 sec, das entspricht bei 50 km/h ganzen drei Metern.
  • Ein blockiertes Vorderrad resultiert in der Regel aus zu starkem Bremsen und nicht aus zu schnellem Bremsbeginn!
  • Das ABS-System sollte nur als „Rettungsfallschirm“ für grobe Fehler da sein und gar nicht regeln.
  • Ziel muss eine optimale , nicht aber eine mittels ABS geregelte Bremsung sein.

Denn anders als bei der Pkw-Ausbildung, bei der wir auf jeden Fall die ABS-geregelte Gefahrbremsung erreichen wollen, sehe ich für die Motorradausbildung verschiedene Probleme:

  • Ein Motorrad mit ABS bietet keinen sicheren Überschlagsschutz, vor allem nicht bei den in den Fahrschulen benutzten Motorrädern der mittleren Klasse.
  • Beim Motorrad garantiert eine ABS-geregelte Bremsung noch nicht unbedingt einen kurzen Bremsweg (z.B. wenn die Bremskraft auf dem Vorderrad zu gering ist).
  • Für Fahranfänger sind blockierte Räder von Motorrädern kaum beherrschbar, vor allem, wenn nicht entsprechend geübt wurde.

Bei aufmerksamer Beobachtung der Ausbildungs- und Prüfungspraxis glaube ich, ein ziemliches Sicherheitsproblem erkannt zu haben. Deshalb mein Vorschlag:

  • Überwiegendes Üben und Prüfen der Gefahrbremsung ohne ABS (bleibt trotzdem aktiv in Bereitschaft).
  • Die Prüfungsrichtlinie, gültig seit 19.01.2013, besagt, dass das Bremsen im Regelbereich nicht zu beanstanden ist, das heißt aber im Umkehrschluss, dass es auch nicht verlangt wird.

Über eine Diskussion zu diesem Thema würde ich mich sehr freuen!

Eckhard VollmerEckhard Vollmer
Dozent DVPi Frankfurt
vollmer@dvpi-frankfurt.de

PS: Vielen Dank an dieser Stelle auch an die FahrSchulPraxis (Das südwestdeutsche Fahrlehrermagazin, Hrsg. Fahrlehrerverband Baden-Württemberg e.V.) welche den Artikel als Leserbrief in der Ausgabe 10/2013 abgedruckt haben.

 

 

Autor:
Datum: Donnerstag, 14. November 2013 13:05
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2 Kommentare

  1. 1

    Ihren Artikel habe ich mit Interesse und Aufmerksamkeit gelesen.

    Als Fahrlehrer aller Klassen – Schwerpunkt: Krad-Ausbildung – stimme ich Ihren Ausführungen zu.
    Meiner Meinung nach sollte das ABS im Kraftrad-Bereich ab der Kl. A1 für Neuzulassungen und für den deutschen Markt zur Pflicht gemacht werden. Was nicht heißt, dass der Fahrschüler letztlich nur noch lernt eine Gefahrenbremsung mit ABS durchzuführen. Ich finde es absolut wichtig, einem „Klasse A1- A2- A- Erst- einsteiger“ das Abbremsen mit höchstmöglicher Verzögerung „von der Pieke auf“ beizubringen. Dazu gehört aber auch das theoretische Grundwissen, wie z.b. der entstehende Schlupf mit ABS im Grenzbereich, der dazu führt, dass der Anhalteweg unter bestimmten Voraussetzungen mit ABS länger sein kann, als ohne ABS, nämlich wenn es der Fahrer schafft, den Bremsdruck von Vorder- und Hinterrad-
    bremse exakt so zu dosieren, dass er sich exakt an der Haftreibungsgrenze befindet. Die theoretischen Grundkenntnisse vertiefe im Theorie-Unterricht und verzahne sie dann in der prakt. Ausbildung, insb. in den Grundfahraufgaben.

    Die maximale Bremsleistung sollte bei einer Gefahrenbremsung so schnell wie möglich erreicht sein und bis zum Stillstand des Kfz gehalten werden. Hierbei spielt die Bremsansprechzeit von einer fünftel Sekunde nur eine untergeordnete Rolle. Die dynam. Achslastverlagerung sollte hier nur bzgl. der Bremskraftverteilung zw. Vorder- und Hinterrad erwähnt werden, nicht in Bezug auf die Bremsdruckdosierung im Anfangsbereich einer Gefahrenbremsung.

    Schöne Grüße
    Thomas Kreissl

  2. 2

    Vielen Dank für Ihre fachkundige Meinung. Wir freuen uns über Ihren kompetenten Beitrag.

    Mit kollegialen Grüßen
    Eckhard Vollmer | DVPi Frankfurt

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